Einer wie keiner – Sir John Hegarty

Einer wie keiner – Sir John Hegarty Werber und Gründer der Agentur Bartle Bogle Hegarty

Sir John Hegarty ist eine echte Werbelegende. Der «Ritter der Kreativität» prägte unter anderem den Auftritt von Levi’s und Johnny Walker und setzte damit ganz neue Massstäbe. Bekannt ist er aber auch dafür, dass er bei seinen Auftritten frank und frei sagt, was er in der Werbung für gut und richtig hält.

Portrait Sir John Hegarty
Sir John Hegarty, Gründer der britischen Kultagentur Bartle Bogle Hegarty, gehört zu den erfolgreichsten und kreativsten Werbeikonen der Welt.

Wenn Sir John Hegarty am 24. Oktober 2023 die Bühne des DirectDay im Zürcher Kongresshaus betritt, dann darf man sich einer Sache sicher sein: Er wird kein Blatt vor den Mund nehmen. Trotz seiner jugendlich-lockeren Art (die er sich auch mit stolzen 79 Jahren bewahrt hat) scheut sich der britische Star-Werber nicht, deutliche Worte zu wählen, um auf Missstände in der Marketing- und Kommunikationsbranche aufmerksam zu machen.

Beispiel gefällig?

«Es wird zu viel Advertising-Blödsinn produziert, den niemand sehen will. Kreativität weicht KPIs. CMOs haben in etlichen Firmen keine Bedeutung mehr – jene, die stattdessen entscheiden dürfen, sehen den Beruf der CMOs als technokratische Aufgabe an. Es genügt der Geschäftsleitung, wenn der CMO die Zahlen lesen kann, die irgendwelche Tools ausspucken.»

«Darf der das?»

Ein hartes Urteil, ein strenges Verdikt. «Darf der das sagen?», fragen sich mitunter Menschen im Publikum, wenn Hegarty spricht. «Kann er sich das erlauben?», denken sie. Die Antwort lautet: Ja, er kann. Mit dem «Ritter der Kreativität» (seit 2007 führt er den Adelstitel) hat die Schweizerische Post einen Keynote-Speaker zum DirectDay 2023 eingeladen, der in jeglicher Hinsicht als «Freigeist» zu bezeichnen ist.

Sir John hat alles gewonnen, was man in der Werbebranche gewinnen kann; er hat praktisch jede Marke vertreten, die für Agenturen von Interesse ist. Das Tagesgeschäft seines eigenen, ikonischen Hauses – Bartle Bogle Hegarty (kurz: BBH) – verliess er, als die Marke in die Publicis-Gruppe überging, doch ist er weiterhin beratend für BBH tätig. Hegarty hat zwei Bestseller geschrieben, einen Startup-Inkubator ins Leben gerufen und ein Bio-Weingut in Frankreich aufgebaut. Nun führt er Kreativ-Masterclasses im digitalen Raum durch, zusammen mit einigen engen Freunden (etwa dem Modedesigner und «Mit-Ritter» Sir Paul Smith).

Ein steiniger Weg – und mutige Schritte

Um es hierher zu schaffen, um ein «Spiritus Rector» der nächsten Generation zu werden, der bei den «Löwen» in Cannes selbst im Jahr 2023 für ausverkaufte Säle sorgt, musste Hegarty einen mitunter steinigen Weg meistern und viel Mut beweisen. 1967 stieg er bei Cramer Saatchi ein und wurde Gründungsmitglied bei der Transformation zu Saatchi & Saatchi (die Agentur gibt es auch heute noch, auch sie gehört zur Publicis-Gruppe). 1973 baute er das Londoner Büro von TBWA auf, störte sich aber massiv an einem Grundprinzip der Agentur: «Der Umsatz – und somit der Erfolg – der einzelnen Dependancen wurde zusammengerechnet und dann durch die Anzahl der Standorte geteilt. Das konnte ich nicht akzeptieren.» Da schlägt der Ehrgeiz in Sir John durch, sein Anspruch, der Beste sein zu wollen. Denn was er mit dieser Aussage andeutet: Wenn etwa seine Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern schlechte Arbeit ablieferten oder Mandate verloren, er in London dafür aber eine «Over-Performance» zeigte, landeten alle zusammen am Ende «bei der schwarzen Null» – ein absoluter Motivationskiller für Hegarty, ebenso wie für seine Kompagnons John Bartle und Nigel Bogle. Sie versuchten noch, mit TBWA zu verhandeln, fanden aber kein Gehör. Also packten sie einen grossen Koffer (und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn all ihre Akten landeten wild durcheinander geworfen in einem Überseekoffer) und machten ab 1982 «ihr eigenes Ding».

Ein schwarzes Schaf

BBH war beim Start zwar eine Agentur mit drei einigermassen bekannten Köpfen an der Spitze, aber es gab kein Büro, keinen einzigen Kunden, keinen «Fünf-Jahres-Plan». Es gab nur den Willen, es anders zu machen als der Rest der Branche. Deshalb wurde ein schwarzes Schaf als Wappentier von BBH gewählt, unkonventionelle Methoden prägten die Handschrift der Gründer. Jeans-Hersteller Levi’s, bei den Konsumentinnen und Konsumenten in den 1980ern in Ungnade gefallen, bekam einen «Pitch» auf einer Baustelle. «Wir behaupteten einfach, dass hier gerade unsere neuen Offices entstehen», erinnert sich Hegarty mit einem Schmunzeln. Andere Kundinnen und Kunden wurden in so etwas wie «frühen Co-Working-Büros» empfangen, die hastig umdekoriert wurden. Hegarty dazu: «Die Vermieterinnen und Vermieter waren nie glücklich darüber. Hat uns eine Menge Geld gekostet, das alles hinterher wieder zu kitten, wenn ich mich recht erinnere.»

Ich glaube, wir müssen zurückgehen, wenn wir einen Neuanfang in der Branche schaffen wollen.

Sir John Hegarty

Doch die «Volle-Kraft-voraus»-Taktik wirkte: Levi’s schluckte den Köder und liess BBH einen damals völlig unbekannten Schauspieler namens Brad Pitt für eine Werbung casten. Audi vertraute der Agentur seinen Markenslogan an und BBH schrieb «Vorsprung durch Technik». Für Johnnie Walker brachte das «schwarze Schaf» der Branche «Keep Walking» zu Papier. 13 Prozent Umsatzsteigerung für den Whisky – und das dank zwei Wörtern: Darin zeigt sich die Schönheit der Werbung, die Kraft der Kreativität. Nur wer das vor Augen hat, kann Hegarty verstehen und weiss, was er meint, wenn er sagt: «Ich glaube, wir müssen zurückgehen, wenn wir einen Neuanfang in der Branche schaffen wollen.»

1960 = 2023?

Die Marketing- und Kommunikationswelt habe schon einmal in einer Art kreativen Sackgasse gesteckt, aus der weder Unternehmen noch Agenturen einen Ausweg fanden, urteilt Hegarty. Das war zu Beginn seiner Karriere und nun, mehr als sechzig Jahre später, schliesst sich der Kreis: «Ich erinnere mich, wie die erste kreative Revolution in der Werbung begann. Das war in New York, in den ganz frühen 1960er Jahren. Einige Agenturen arbeiteten damals an kleineren Etats, die Kunden waren bereit, ihnen zuzuhören – im Gegensatz zu General Motors oder zu Procter & Gamble oder wer auch immer damals als Grossunternehmen galt. Die kleineren Kunden erlaubten es den Agenturen, Fantastisches zu leisten, und legten damit diese kleinen Feuer, die zu grösseren Bränden wurden. Dann wurden auch andere darauf aufmerksam, bis schliesslich die grossen Firmen einen Blick darauf waren und plötzlich dachten: ‹Mein Gott, das Zeug scheint zu funktionieren›. Schliesslich übernahmen sie dann diese Prinzipien.»

Kann das heute, da Marketer und Agencies gleichermassen vor dem Altar der (zumeist digitalen) KPIs knien, wieder funktionieren? Gelingt es der Branche noch einmal, sich freizumachen von den Ketten, in die sie sich selbst gelegt hat? Dazu gibt es geteilte Meinungen und – wie immer, wenn es im Leben kompliziert wird – wahrscheinlich keine einfache Antwort. Es gibt aber Menschen, die sich trauen, ihrer eigenen Wahrheit Ausdruck zu verleihen und einen Beitrag zum Diskurs zu leisten. Wer einen solchen Menschen erleben will, darf Sir John Hegarty am DirectDay 2023 keinesfalls verpassen.

Von Johannes Hapig
Der Autor ist Co-Chefredaktor von «m&k – Das Magazin für Marketing und Kommunikation».

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