TikTok tickt anders So nutzen Schweizer Unternehmen die Plattform fürs Marketing
Am Social Media-Firmament leuchtet ein neuer Stern: TikTok. Die Video-Plattform geht bezüglich Nutzerzahlen gerade durch die Decke. Sollten sich Schweizer Vermarkterinnen und Vermarkter damit befassen? Unbedingt!

TikTok ist jung. Sehr jung. Das gilt für das Medium wie für seine Userinnen und User. Lanciert wurde die Social Media-Plattform 2016 vom chinesischen Unternehmen ByteDance. Heute zählt sie gegen eine Milliarde Nutzerinnen und Nutzer pro Monat und liegt damit nur noch knapp hinter oder gar auf Augenhöhe mit Instagram – je nachdem, welche Quelle man heranzieht. Ein kometenhafter Aufstieg, zu dem die Fusion mit der Play-back-Video-App musical.ly 2018 wesentlich beitrug. Seine Vision hat das Unternehmen damit verwirklicht: «TikTok ist die führende Plattform für kurze Videos auf dem Smartphone».
Auf der Rolltreppe tanzen
Auf TikTok tummelt sich die Nutzer der Generation Z. Archetyp: Sechzehnjähriges Mädchen, das sich ein bis zwei Stunden täglich mehr oder weniger lustige Videos anschaut – oder selber solche produziert. Dazu wählt es eine von TikTok vorgegebene Tonspur, legt ein mit dem Handy gemachtes Video darüber, dessen Hauptdarstellerin in aller Regel sie selbst ist. Das Mädchen schminkt sich hässlich, tanzt auf einer Rolltreppe, verzehrt auf originelle Art ein Müsli … Hunderte oder gar Tausende tun es ihr im Rahmen von Challenges gleich. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Sollte man sich als Vermarkterin, Werber oder PR-Spezialistin mit einer solchen Plattform befassen? «Unbedingt», findet Mike Schwede, Digitalstratege, Unternehmer, Dozent (mike.schwede.ch).
Mike Schwede ist auf TikTok aktiv. Als User und als Werber. Erkenntnis Nummer eins: «Man muss überdurchschnittlich unterhaltsam und kreativ sein, um wahrgenommen zu werden. Das kann auch den arrivierten Social Media Plattformen zugutekommen». Erkenntnis Nummer zwei: «TikTok ist mehr als eine Plattform für Blödel-Videos. Es werden auch anspruchsvolle Themen behandelt. Zum Beispiel der Klimawandel. Oder der Schulstress. Allerdings lässt die chinesische Zensur nicht alles zu. Bei LGBTQ-Themen wird auch mal zensuriert.» Erkenntnis Nummer drei: «Der richtige Zeitpunkt, als Unternehmen oder Institution bei TikTok einzusteigen, ist jetzt – weil alle anderen noch nicht da sind.»
Was Werber über TikTok wissen sollten
Frage an Mike Schwede: Was unterscheidet TikTok von anderen Social Media-Plattformen – mal abgesehen vom überdurchschnittlich jungen Publikum? «Die App ist konsequent aufs Smartphone ausgerichtet. Gearbeitet wird mit vertikalen Videos, es gibt kaum Text. Wichtig: Der Feed-Algorithmus folgt deinen Interessen. Das heisst, er orientiert sich konsequent an deinen Likes und Views. Wem du folgst, spielt eine untergeordnete Rolle. Das heisst: Man braucht keine Freunde, um wahrgenommen zu werden. Und: Hashtag-Challenges sind eine typische Spielart dieser Plattform. Man lanciert unter einem Hashtag ein Thema und animiert damit andere, vergleichbare Videos zu produzieren und zu posten.»
Frage an Mike Schwede: Wie kann TikTok für Werbung, Marketing oder PR genutzt werden? «Bezahlte Inhalte ausschliesslich für Schweizer Userinnen und User sind auf TikTok noch nicht möglich. Man muss den Umweg übers Ausland gehen und hat entsprechende Streuverluste. Interessanter sind sowieso guter Content und die Hashtag-Challenges: Sie können schon heute für kommerzielle oder institutionelle Kommunikation mit spezifischen Zielgruppen genutzt werden. Indem man selber eine Challenge lanciert. Im Idealfall löst man einen Schneeballeffekt aus. Aber bitte: nicht peinlich werden. Lieber einen professionellen Creator beziehen. Der weiss, wie TikTok-Userinnen und User ticken und sorgt dafür, dass die Videos bei der Community nicht durchfallen. Creators finde ich im TikTok Creator Marketplace oder mittels Influencer-Software.»
Einfach mal einsteigen, ausprobieren und Erfahrungen sammeln lautet also die Devise. TikTok geht durch die Decke – und wird bald auch in der Schweiz als Werbeplattform relevant sein. Dann sollte man einen Know-how-Vorsprung haben.
So wird TikTok in der Schweiz genutzt
Offizielle Zahlen zur Nutzung von TikTok in der Schweiz liegen nicht vor. Die Zürcher Online-Marketing- und Social-Media-Agentur XEIT hat deshalb auf Instagram und Facebook sowie bei ausgewählten Schulen eine Umfrage gemacht.
Gut 600 Rückmeldungen von TikTok-Nutzerinnen und Nutzern sind eingegangen. Die Auswertung der Antworten hat Agentur XEIT im Februar auf ihrem Blog publiziert. Das Wichtigste zusammengefasst:
- Teenie-Plattform. TikTok wird von Teens intensiv genutzt. 96 Prozent der Zwölf- bis Vierzehnjährigen haben die App installiert. Bei den Fünfzehn- bis Siebzehnjährigen sind es 88 Prozent.
- Mädchen vor Jungs. Mädchen nutzen TikTok häufiger als Jungs. 78 Prozent der befragten Mädchen haben die App installiert, bei den Jungs sind es 64 Prozent.
- Zwei Stunden täglich. TikTok wird von den Jugendlichen intensiv genutzt. 75 Prozent der Befragten könnten keinen Tag ohne TikTok sein. 45 Prozent nutzen die App 1 bis 2 Stunden am Tag, 36.5 Prozent mehr als 2 Stunden.
- Hauptsache lustig. Am liebsten werden auf TikTok lustige Videos konsumiert (43,2 Prozent). Musikvideos halten einen Anteil von 16,4 Prozent.
- Unterhaltung zählt. Anders als Snapchat oder Instagram wird TikTok primär zur Unterhaltung um zum Verfolgen von Trends genutzt. Die soziale Kontaktpflege ist Nebensache.
Auf TikTok tummeln sich erst wenige Schweizer Unternehmen. Darunter Coop und Login Berufsbildung. Beide sind im Januar 2020 gestartet. DirectPoint hat nachgefragt, warum, wie und mit welchem Ergebnis sie den Kanal nutzen
Welche kommunikativen Ziele verfolgen Sie auf TikTok?
Coop: Wir verfolgen die Entwicklungen Sozialer Medien aufmerksam und probieren Neues aus. Mit TikTok können wir ein jüngeres Publikum ansprechen, welches auf Facebook und Instagram wenig aktiv ist.
Login Berufsbildung: Wir sprechen Lernende und potenzielle Lernende sowie deren Peers mit an. Dabei geht es primär um Awareness fürs Unternehmen.
Welche thematischen Akzente setzen Sie?
Coop: Auf den Social-Media-Kanälen zeigen wir unsere Vielfalt auf, geben Tipps und unterhalten. Bei TikTok sind wir noch in der Testphase und probieren aus, welche Themen wie ankommen.
Login Berufsbildung: Wir verknüpfen Trends mit unseren Themen Mobilität und Berufslehre. Authentizität und Unterhaltungswert stehen im Vordergrund. Wir wollen glaubwürdig, nicht marktschreierisch auftreten.
Wie erstellen Sie die Inhalte?
Coop: Den Content erstellt unser internes Social-Media-Team in Zusammenarbeit mit einer Agentur. Mit #challenges haben wir bisher nicht gearbeitet.
Login Berufsbildung: In Eigenregie, da wir das Gewässer «TikTok» noch als Trial-Phase betrachten.
Arbeiten Sie mit #challenges?
Coop: Bisher haben wir dieses Instrument nicht genutzt.
Login Berufsbildung: Noch nicht, ziehen es aber durchaus in Betracht.
Wie sehen ihre bisherigen Erfahrungen mit TikTok aus?
Coop: Wir erhalten durchwegs positive Rückmeldungen. Unser erstes Video erzielte 1.7 Millionen Views.
Login Berufsbildung: Die Reaktionen sind sehr positiv, insbesondere vonseiten der Jungen. TikTok ist für Unternehmen, die eine junge Zielgruppe ansprechen, absolut interessant.