Multisensorik – Interview mit Dr. Aradhna Krishna

Multisensorisches Marketing als Zukunftsdisziplin Im Dialog mit der Expertin Prof. Dr. Aradhna Krishna

Die an der renommierten Ross School of Business der University of Michigan lehrende Marketingexpertin Prof. Dr. Aradhna Krishna gilt als Koryphäe auf dem Gebiet des Sensorik-Marketings. Für sie sind die Sinne ein integraler Teil dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein. Es besteht kein Zweifel darüber, dass multisensorisches Marketing als Ausprägung des Neuromarketings in der Marketingwelt der Zukunft eine Schlüsselrolle spielen wird.

Porträt Prof. Dr. Aradhna Krishna
Forscht und lehrt an der Ross School of Business, University of Michigan: Multisensorik-Expertin Prof. Dr. Arahdna Krishna

Wie interagieren die Sinne des Menschen mit seinem Gehirn, und welche Möglichkeiten ergeben sich daraus für das Marketing?

Aradhna Krishna: Wir befinden uns permanent in einem unbewussten sensorischen Austausch mit der Welt um uns herum. Dies beeinflusst unsere Wahrnehmung und unsere Reaktion auf Sinnesreize. Davon kann das Marketing enorm profitieren.

Was lösen sinnliche Erlebnisse und Erfahrungen im menschlichen Gehirn aus?

Ob wir ein Alarmsignal hören, nach dem Kaffeekocher greifen, ein Müesli mit Joghurt essen, den Laptop aufklappen oder ein Paket öffnen, das der Postbote gebracht hat – alle unsere Interaktionen gehen mit sinnlichen Erlebnissen und Erfahrungen einher.

Wie wirken sich sinnliche Erlebnisse auf das Verhalten der Konsumenten aus?

Nehmen wir das Beispiel mit dem Kaffeekocher: Mit dem Griff danach geht eine ganze Reihe sinnlicher Wahrnehmungen des Kaffeekochers wie auch des Kaffees einher. Zum Beispiel kann bereits das Design des Geräts die geschmackliche Wahrnehmung des Kaffees beeinflussen. Ist die Kanne leicht oder schwer? Zischt es, wenn der Kaffee fertig zubereitet ist? Wie stark ist das Aroma, das der Kaffee beim Eingiessen verbreitet? Auch diese Aspekte beeinflussen das Geschmackserlebnis.

In welchem Mass lässt sich die Wirkung eines physischen Mailings durch den Einbezug sensorischer Reize steigern?

Ein einfaches Beispiel: Um Mitglieder zu gewinnen, verschickte ein Kindermuseum eine Broschüre. Die eine Hälfte der Auflage enthielt ein weiches, angenehm anzufühlendes Haptikelement. Ein Teil der Empfänger dieser Version – nämlich diejenigen, die haptische Erlebnisse lieben – zeigte eine deutlich höhere Affinität zur Broschüre und signalisierten eine höhere Bereitschaft, eine Mitgliedschaft zu erwerben, als die Empfänger der Broschüre ohne Haptikelement.

Praxis-Leitfaden multisensorisches Marketing

Die multisensorische Kundenansprache ist die Zukunftsdisziplin des Marketings. Wer seine Marke nicht nur visuell und akustisch inszeniert, sondern auch olfaktorische, gustatorische und haptische Erlebnisse kreiert, erzielt deutlich mehr Wirkung. Wie Sie Multisensorik erfolgreich umsetzen, zeigt Ihnen unser Praxis-Leitfaden anhand von 11 Handlungsoptionen auf.

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Wie steht es mit der Messbarkeit von Marketingmassnahmen mit sensorischem Hintergrund?

Je nach Studienanlage definieren wir eine Kontrollgruppe und eine Versuchsgruppe. Die Kontrollgruppe erhält eine Vorlage ohne ein bestimmtes sensorisches Element, während dieses in der Vorlage der Versuchsgruppe enthalten ist. Auf diese Weise wird die Wirkung der sensorischen Komponente messbar.

Können Sie auch dazu ein Beispiel anführen?

Interessant ist die Wirkung von Duft auf das Erinnerungsvermögen. Eine Untersuchung hat deutlich gemacht, dass ein Produkt mit einem einzigartigen Duft deutlich länger in Erinnerung bleibt als ein Produkt ohne charakteristische Duftnote.

Wie würden Sie das Ideal der multisensorischen Marke beschreiben?

Eine multisensorisch wahrnehmbare Marke hat verstanden, welche Sinnesreize essenziell sind, um sie für Konsumentinnen und Konsumenten begehrenswert zu machen.

Wie ist sensorisches Marketing im Kontext von Performance und Purpose einzuordnen?

Sensorisch optimiertes Design beeinflusst die Wahrnehmung der Leistung und den Nutzen eines Produktes. Sensorik weist aber auch auf die Haltung des Anbieters hin und macht damit das Produkt im Hinblick auf Purpose glaubwürdig.

In der digitalen Marketing-Welt lassen sich haptische, olfaktorische und gustatorische Reize nicht vermitteln. Was raten Sie Online-Marketern und Onlineshop-Betreibern?

Diesem Thema widmen wir uns seit mehr als einem Jahrzehnt. Wir sprechen dabei von «Sensory Imagery». Das heisst, sensorische Reize werden nicht physisch vermittelt, sondern in der Vorstellung des Menschen ausgelöst. Meine Forschungen haben ergeben, dass Sensory Imagery sehr wirkungsvoll sein kann. Digitales Marketing kann zu Sensorik-Marketing werden, wenn es die entsprechenden Erkenntnisse berücksichtigt. Unsere Forschung bezieht auch die Möglichkeiten von Sensory Imagery im Bereich Augmented Reality mit ein. Auf diesem Gebiet arbeiten wir übrigens mit Schweizer Wissenschaftern zusammen.

Durch Sensory Imagery kann digitales Marketing zu Sensorik-Marketing werden.

Sie haben den Begriff «Smellizing» geprägt. Was genau ist darunter zu verstehen?

Smellizing bedeutet, sich einen Duft vorzustellen, genau wie man sich mit «visualizing» eine Szene oder ein Bild vorstellen kann. Es gab eine Debatte darüber, ob Menschen überhaupt zum Smellizing fähig sind. Die Antwort ist ja. Insbesondere dann, wenn Smellizing durch einen visuellen Bezug unterstützt wird.

Welche Fehler kann man im Sensory Marketing machen, und wie lassen sich diese vermeiden?

Den häufigsten Fehler sehe in einem Zuviel an sensorischen Stimuli. Manche Marketer tendieren dazu, die Konsumenten mit sensorischen Signalen zuzudecken. Das wirkt kontraproduktiv.

Welche grossen Fragen sind im multisensorischen Marketing noch offen und welche Forschungsprojekte treiben Sie voran?

Das Wesen und die Wirkung von Sensory Imagery erfordert immer noch viel Arbeit, genauso wie die Untersuchung der cross-modalen sensorischen Wahrnehmung. Sensorik im Kontext mit Augmented und Virtual Reality steckt noch in den Kinderschuhen. Auch in diesen Bereichen wartet viel Arbeit auf unsere Forschungsteams.

Gemäss Harvard Business sind Sie die führende Expertin im sensorischen Marketing. Hat sich Ihre persönliche Sensorik in den letzten ein bis zwei Jahren wegen Covid-19 verändert?

Ich musste feststellen, dass ich mit dem Wiedererwachen der Wirtschaft lärmempfindlicher geworden bin. Ich denke, das liegt daran, dass mein akustisches Umfeld während der Pandemie gedämpfter war.

Auf welche Sinnesreize reagieren Sie persönlich überdurchschnittlich stark?»

Ich liebe Produkte, die sich wirklich angenehm anfühlen.

 

Zur Person

Dr. Aradhna Krishna gilt gemäss Harvard Business Review als führende Expertin auf dem Gebiet des sensorischen Marketings und erforscht die verschiedensten Formen der sensorischen Wahrnehmung. Sie ist Dwight F. Benton Professorin für Marketing an der Ross School of Business, University of Michigan. Mit ihrem Buch «Customer Sense – How the 5 Senses Influence Buying Behavior» hat sie ein Standardwerk zum Thema vorgelegt.